Analysis of Modern German Literature

Analysis of Modern German Literature (C1 Level)

This advanced academic discussion explores contemporary German literature, focusing on literary movements, influential authors, and the sociopolitical context of modern German writing. Designed for C1 level learners with an interest in German culture and literature.

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Lecture Transcript

Prof. Dr. Müller: Herzlich willkommen zu unserer heutigen Vorlesung über die Entwicklungslinien der deutschen Gegenwartsliteratur seit der Wiedervereinigung. Die literarische Landschaft Deutschlands hat sich seit 1990 grundlegend gewandelt, wobei sich verschiedene Strömungen herauskristallisiert haben, die wir heute näher betrachten werden.

Nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung befand sich die deutsche Literatur zunächst in einer Phase der Neuorientierung. Die großen gesellschaftlichen Umwälzungen spiegelten sich in einer Vielzahl von Werken wider, die sich mit der deutsch-deutschen Vergangenheit auseinandersetzten. Autoren wie Christa Wolf mit ihrem Werk “Was bleibt” oder Thomas Brussig mit “Helden wie wir” verarbeiteten auf unterschiedliche Weise die Erfahrungen im geteilten Deutschland.

Dr. Weber: Wenn wir über die Nachwendeliteratur sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass es dabei nicht nur um eine thematische Auseinandersetzung ging, sondern auch um einen Generationenwechsel. Die etablierten Autoren der DDR und der BRD wurden zunehmend von jüngeren Stimmen abgelöst, die weniger ideologisch geprägt waren und neue ästhetische Ansätze verfolgten.

Prof. Dr. Müller: Ein treffender Einwand. Tatsächlich lässt sich ab Mitte der 1990er Jahre eine Abkehr von der explizit politischen Literatur beobachten. Stattdessen rückte das Individuum mit seinen persönlichen Erfahrungen in den Mittelpunkt. Diese Entwicklung wird häufig als “Neue Subjektivität” bezeichnet. Werke wie Judith Hermanns “Sommerhaus, später” oder die frühen Romane von Daniel Kehlmann zeugen von dieser Tendenz.

Dr. Weber: Gleichzeitig entwickelte sich aber auch eine Gegenbewegung, die man als “Neuen Realismus” bezeichnen könnte. Autoren wie Clemens Meyer mit “Als wir träumten” oder Saša Stanišić mit “Wie der Soldat das Grammofon repariert” griffen wieder verstärkt gesellschaftliche Themen auf und verknüpften diese mit innovativen Erzählformen.

Prof. Dr. Müller: Diese Beobachtung führt uns zu einem weiteren wichtigen Aspekt der Gegenwartsliteratur: der zunehmenden Internationalisierung. Die deutsche Literatur wurde und wird immer stärker von Autoren geprägt, die einen Migrationshintergrund haben oder zwischen verschiedenen Kulturen leben. Denken Sie an Terézia Mora, Feridun Zaimoglu oder Olga Grjasnowa. Diese Autoren haben nicht nur thematisch neue Perspektiven eingebracht, sondern auch sprachlich die deutsche Literatur bereichert.

Dr. Weber: Diese Entwicklung spiegelt natürlich die gesellschaftliche Realität eines Einwanderungslandes wider. Interessant ist dabei, dass die sogenannte “Migrationsliteratur” mittlerweile im Mainstream angekommen ist. Der Chamisso-Preis, der ursprünglich für deutschsprachige Autoren nicht-deutscher Muttersprache vergeben wurde, wurde 2017 eingestellt – mit der Begründung, dass eine solche Kategorisierung nicht mehr zeitgemäß sei.

Prof. Dr. Müller: Ein weiteres Phänomen, das wir beobachten können, ist die Rückkehr des historischen Romans, allerdings in neuer Form. Autoren wie Daniel Kehlmann mit “Die Vermessung der Welt”, Jenny Erpenbeck mit “Heimsuchung” oder Lutz Seiler mit “Kruso” greifen historische Stoffe auf, ohne dabei in traditionelles Erzählen zu verfallen. Vielmehr nutzen sie die Geschichte als Resonanzraum für gegenwärtige Fragestellungen.

Dr. Weber: Dabei fällt auf, dass die Grenzen zwischen E- und U-Literatur zunehmend verschwimmen. Werke, die literarisch anspruchsvoll sind, können gleichzeitig große kommerzielle Erfolge sein. Das war früher eher die Ausnahme.

Prof. Dr. Müller: Absolut. Diese Entwicklung hängt sicherlich auch mit veränderten Produktions- und Rezeptionsbedingungen zusammen. Der Literaturbetrieb hat sich im digitalen Zeitalter grundlegend gewandelt. Literaturkritik findet nicht mehr nur in den Feuilletons statt, sondern auch in Blogs und sozialen Medien. Und Verlage müssen sich in einem zunehmend schwierigen Marktumfeld behaupten.

Dr. Weber: Wenn wir über formale Innovationen sprechen, sollten wir auch die Entwicklung hybrider Textformen erwähnen. Die strikte Trennung zwischen Fiktion und Sachbuch wird häufig aufgehoben, wie etwa in den Werken von W.G. Sebald oder Navid Kermani. Auch die Verbindung von Text und visuellen Elementen gewinnt an Bedeutung.

Prof. Dr. Müller: Zum Abschluss unserer heutigen Betrachtung möchte ich noch auf eine Tendenz hinweisen, die mir besonders bemerkenswert erscheint: die Wiederkehr des Politischen in der jüngsten deutschen Literatur. Nach einer Phase der vermeintlichen Entpolitisierung sehen wir nun wieder vermehrt Werke, die explizit gesellschaftliche Missstände thematisieren – sei es in Lutz Seilers “Stern 111”, das die Nachwendezeit reflektiert, oder in Sasha Marianna Salzmanns “Außer sich”, das Fragen von Identität und Zugehörigkeit verhandelt.

Dr. Weber: Diese Rückkehr des Politischen zeigt sich auch in der zunehmenden Bedeutung ökologischer Themen in der Literatur. Der Begriff der “Klimafiktion” hat Einzug in die Literaturkritik gehalten, und Autoren wie Ilija Trojanow mit “EisTau” oder Karen Duve mit “Macht” setzen sich mit der Klimakrise auseinander.

Prof. Dr. Müller: Damit haben wir einen Bogen geschlagen von der Nachwendeliteratur bis zur Gegenwart. Die deutsche Literaturlandschaft zeichnet sich heute durch eine bemerkenswerte Vielfalt aus – thematisch, formal und hinsichtlich der Herkunft ihrer Autorinnen und Autoren. In der nächsten Vorlesung werden wir uns eingehender mit ausgewählten Werken beschäftigen und deren ästhetische Strategien analysieren.

English Translation

Prof. Dr. Müller: Welcome to today’s lecture on the development of contemporary German literature since reunification. Germany’s literary landscape has fundamentally changed since 1990, with various currents emerging that we will examine more closely today.

After the fall of the Berlin Wall and reunification, German literature initially found itself in a phase of reorientation. The major social upheavals were reflected in numerous works that dealt with the German-German past. Authors like Christa Wolf with her work “What Remains” or Thomas Brussig with “Heroes Like Us” processed the experiences in divided Germany in different ways.

Dr. Weber: When we talk about post-reunification literature, we must not forget that it wasn’t just about thematic engagement but also about a generational change. The established authors from the GDR and FRG were increasingly replaced by younger voices who were less ideologically shaped and pursued new aesthetic approaches.

Prof. Dr. Müller: A pertinent objection. Indeed, from the mid-1990s onwards, we can observe a turn away from explicitly political literature. Instead, the individual with their personal experiences moved into focus. This development is often referred to as “New Subjectivity.” Works like Judith Hermann’s “Summer House, Later” or the early novels of Daniel Kehlmann testify to this tendency.

Dr. Weber: At the same time, a counter-movement developed that could be called “New Realism.” Authors like Clemens Meyer with “As We Were Dreaming” or Saša Stanišić with “How the Soldier Repairs the Gramophone” increasingly took up social themes again and linked them with innovative narrative forms.

Prof. Dr. Müller: This observation leads us to another important aspect of contemporary literature: increasing internationalization. German literature was and is increasingly shaped by authors who have a migration background or live between different cultures. Think of Terézia Mora, Feridun Zaimoglu, or Olga Grjasnowa. These authors have not only brought new thematic perspectives but have also linguistically enriched German literature.

Dr. Weber: This development naturally reflects the social reality of a country of immigration. Interestingly, so-called “migration literature” has now arrived in the mainstream. The Chamisso Prize, which was originally awarded to German-language authors whose native language was not German, was discontinued in 2017 – with the justification that such categorization was no longer appropriate.

Prof. Dr. Müller: Another phenomenon we can observe is the return of the historical novel, albeit in a new form. Authors like Daniel Kehlmann with “Measuring the World,” Jenny Erpenbeck with “Visitation,” or Lutz Seiler with “Kruso” take up historical material without falling into traditional storytelling. Rather, they use history as a resonance chamber for contemporary questions.

Dr. Weber: It’s noticeable that the boundaries between highbrow and popular literature are increasingly blurring. Works that are literarily sophisticated can simultaneously be major commercial successes. This used to be more of an exception.

Prof. Dr. Müller: Absolutely. This development is certainly also related to changed conditions of production and reception. The literary establishment has fundamentally changed in the digital age. Literary criticism no longer takes place only in the feuilletons but also in blogs and social media. And publishers have to assert themselves in an increasingly difficult market environment.

Dr. Weber: When we talk about formal innovations, we should also mention the development of hybrid text forms. The strict separation between fiction and non-fiction is often abolished, as in the works of W.G. Sebald or Navid Kermani. The combination of text and visual elements is also gaining importance.

Prof. Dr. Müller: To conclude our consideration today, I would like to point out a tendency that seems particularly noteworthy to me: the return of the political in recent German literature. After a phase of supposed depoliticization, we now see more works that explicitly address social grievances – be it in Lutz Seiler’s “Star 111,” which reflects on the post-reunification period, or in Sasha Marianna Salzmann’s “Beside Myself,” which negotiates questions of identity and belonging.

Dr. Weber: This return of the political is also evident in the increasing importance of ecological themes in literature. The term “climate fiction” has entered literary criticism, and authors like Ilija Trojanow with “The Lamentations of Zeno” or Karen Duve with “Power” address the climate crisis.

Prof. Dr. Müller: With this, we have drawn an arc from post-reunification literature to the present. Today’s German literary landscape is characterized by remarkable diversity – thematically, formally, and in terms of the origins of its authors. In the next lecture, we will deal more closely with selected works and analyze their aesthetic strategies.

Key Vocabulary

Literary Terms

  • die Gegenwartsliteratur - contemporary literature
  • die Wiedervereinigung - reunification
  • die literarische Strömung - literary movement/current
  • die Nachwendeliteratur - post-reunification literature
  • die ästhetische Strategie - aesthetic strategy
  • der Generationenwechsel - generational change
  • die Neue Subjektivität - New Subjectivity
  • der Neue Realismus - New Realism
  • die Migrationsliteratur - migration literature
  • der historische Roman - historical novel
  • die Klimafiktion - climate fiction
  • das Feuilleton - cultural/arts section (of a newspaper)

Academic Discussion Vocabulary

  • die Entwicklungslinie - line of development
  • sich auseinandersetzen mit - to deal with/engage with
  • die Auseinandersetzung - engagement/confrontation
  • herauskristallisieren - to crystallize
  • die Abkehr von - turning away from
  • die Gegenbewegung - counter-movement
  • die Internationalisierung - internationalization
  • die Rezeptionsbedingungen - conditions of reception
  • die Wiederkehr des Politischen - return of the political
  • die Entpolitisierung - depoliticization

Advanced Grammar Focus

Extended Participial Constructions

These complex structures are common in academic German:

  • “Die von gesellschaftlichen Umwälzungen geprägte Nachwendeliteratur” Post-reunification literature shaped by social upheavals

  • “Die zwischen verschiedenen Kulturen lebenden Autoren” Authors living between different cultures

Nominalization

Academic German often uses nominalized forms of verbs:

  • “Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit” (from “sich auseinandersetzen”) The engagement with the past

  • “Die Entwicklung hybrider Textformen” (from “entwickeln”) The development of hybrid text forms

Functional Verb Constructions (Funktionsverbgefüge)

These constructions consist of a semantically weak verb and a noun that carries the main meaning:

  • “in den Mittelpunkt rücken” (instead of “zentrieren”) to move into focus/center

  • “an Bedeutung gewinnen” (instead of “bedeutender werden”) to gain importance

Practice Exercises

  1. Literary Analysis

    • Choose one contemporary German author mentioned in the lecture
    • Research their major works and literary style
    • Write a 500-word analysis in German using academic language
  2. Vocabulary Building

    • Create a glossary of literary terms in German
    • For each term, provide a definition and example from German literature
    • Practice using these terms in complex sentences
  3. Listening Comprehension

    • Listen to the lecture without reading the transcript
    • Take notes on the main literary movements discussed
    • Summarize the development of German literature since 1990
  4. Academic Discussion

    • Form small groups to discuss one aspect of contemporary German literature
    • Use the academic vocabulary and complex grammatical structures from the lecture
    • Present your conclusions to the class

Cultural Context

Understanding contemporary German literature requires knowledge of Germany’s recent history:

  • The fall of the Berlin Wall in 1989 and German reunification in 1990 marked a profound turning point
  • The integration of East and West German literary traditions created tensions and new possibilities
  • Germany’s confrontation with its Nazi past (Vergangenheit